Häufig wird Versicherungsnehmern angeboten, alte Versicherungsverträge zu ändern oder zu kündigen oder das Risiko bei einer anderen Versicherung zu versichern. Sofern sich solche Angebote auf Versicherungsverträge beziehen, die bereits vor dem Jahr 2008 abgeschlossen wurden, sollten diese Angebote im Zweifel abgelehnt werden. Warum?

Der Gesetzgeber hat das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) im Jahr 2007 reformiert. Die gesetzlichen Regelungen zu den sogenannten vertraglichen Obliegenheiten (im Groben sind dies Auskunfts-, Mitwirkungs- und Schutzpflichten) wurden geändert. Während Versicherungsnehmer nach dem alten VVG bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung damit rechnen mussten, ihren Versicherungsanspruch vollständig zu verlieren, soll nach dem geänderten Gesetz bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Versicherungsanspruch trotzdem anteilsmäßig entsprechend der schwere der groben Fahrlässigkeit ausgezahlt werden. Man spricht von einer Quotelung.

Diese gesetzliche Änderung führte dazu dass die Obliegenheitsregelungen in den alten Versicherungsbedingungen unwirksam wurden. Denn in den alten Bedingungswerken der Versicherer ist entsprechend der alten gesetzlichen Regelung vorgesehen, dass Versicherte bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ihren Leistungsanspruch ggf. komplett verlieren, was nun gegen das neue VVG und die dort vorgesehene Quotelung verstößt. Dies stellte die Versicherungsunternehmen vor ein Problem. Denn Grundsätzlich kann die Versicherung die Vertäge nicht einseitig – also ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers – ändern.

Dieses Problem hat der Gesetzgeber erkannt und den Versicherungen gesetzlich die befristete Möglichkeit eingeräum, ihre Vertragsbedingungen zu bereits bestehenden Versicherungsverträgen bis Ende 2008 einseitig auch ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers zu ändern. Weil es jedoch sehr aufwendig und teuer gewesen wäre sämtliche Versicherungsverträge entsprechend anzupassen, haben die Versicherungen fast alle auf eine Anpassung im Jahr 2008 verzichtet.
Dies hat nun gravierende Folgen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sämtliche Obliegenheitenregelungen in den alten Vertragsbedingungen unwirksam sind, weil sie in ihrer Rechtsfolgenregelung gegen das neue VVG verstoßen. Dies hat zur Folge, dass die vertraglichen Obliegenheiten in nicht angepassten Altverträgen vom Versicherungsnehmer überhaupt nicht mehr beachtet werden müssen; ein Vorteil für Versicherungsnehmer, der kaum hoch genug bewertet werden kann.

Ein Beispiel:

In einer Gebäudeversicherung kommt es zu einem Wasserschaden durch einen Rohrbruch, weil im Winter längere Zeit nicht geheizt wurde. Das mangelnde Heizen über einen längeren Zeitraum im Winter stellt eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung dar. Nach altem Recht war der Versicherungsanspruch in dieser Situation regelmäßig ausgeschlossen. Da die Schutzobliegenheiten (hier das heizen) in den Altverträgen durch die Änderung des VVG jedoch unwirksam geworden sind, kann sich der Versicherer nun überhaupt nicht mehr auf eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers berufen. Er wird insofern bei nicht angepassten Altverträgen leisten müssen.

Ein noch extremerer Fall wurde vom Landgericht Potsdam entschieden.

Ein Versicherungsnehmer hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Er wurde sodann berufsunfähig und die Versicherung hat die Berufsunfähigkeit auch anerkannt. Nach den Bedingungen kann die Versicherung nur durch ein förmliches Nachprüfungsverfahren, bei dem die Gesundheit des Versicherungsnehmers erneut gerüft wird, die Versicherungsleistung für die Zukunft wieder einstellen.

Der Versicherer leitete nach einiger Zeit ein entsprechendes Nachprüfungsverfahren ein und wollte den Versicherten ärztlich begutachten lassen, da er vermutete, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten verbessert habe. Dieser verweigerte jedoch jegliche Mitwirkung und ließ sich insbesondere nicht untersuchen. Die Versicherung berief sich auf Obliegenheitsverletzung und stellte die Leistungen aufgrund der verweigerten Mitwirkung des Versicherungsnehmers ein. Der Versicherungsnehmer klagte auf Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente und bekam Recht. Die Versicherung habe Ihre Bedingungen im Jahre 2008 nicht angepasst. Die Obliegenheitenregelungen seien mithin nicht mehr wirksam.

Aufgrund der Unwirksamkeit habe der Versicherte auch keine sanktionierbare Mitwirkungsobliegenheit mehr im Nachprüfungsverfahren, mit der Folge, dass die Versicherung sich nicht auf eine Obliegenheitsverletzung und die daraus folgende Leistungsfreiheit berufen könne. Die Rente müsse insofern weiter gezahlt werden.
Ob diese Rechtsprechung sich letztlich durchsetzt, ist noch offen. Der Fall zeigt jedoch, welche immensen Vorteile nicht angepasste Altverträge für die Versicherungsnehmer bieten. Da die Versicherungsunternehmen die Vertäge seit Ende 2008 nicht mehr eineitig an das neue Gesetz anpassen können, bieten Sie den Versicherungsnehmern allerlei vermeintlich vorteilhafte Neuverträge oder Änderungen an.

Ziel der Versicherungen ist dabei sicherlich, die Unwirksamkeit der Obliegenheiten zu beseitigen. Dieses sollten sich Versicherungsnehmer stets vor Augen halten, wenn ihnen neue Angebote präsentiert werden. Wir empfehlen Versicherungsnehmern regelmäßig, Altverträge aus der Zeit vor dem Jahr 2008 nicht anzufassen.
Lassen Sie sich durch uns vertreten!